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EINE REISE BEGINNT, EINE REISE ENDET

Genau in einer Woche werde ich aufbrechen. Mit dem Fahrrad von Basel nach Marokko. Alleine. Mein Wunsch: Ich möchte eine Zeit lang in der Wüste der Sahara verbringen, um die Ruhe zu erfahren, die ich hier in der Westlichen Welt einfach nicht finde. Ich freue mich auf die Weite. Leere. Stille. Den Sternenhimmel. Das Gefühl von Tausend und Einer Nacht.


Dieser Wunsch kam eigentlich über Nacht. Im April – an Karfreitag genau – verbrachte ich eine Nacht im Freien unter dem grössten Vollmond, den ich je erlebt hatte – gut, vielleicht der Zweitgrösste. Ich freute mich wie ein Honigkuchenpferd auf diese Nacht. So hatte ich sie nicht bewusst geplant, doch unbewusst so eine Ahnung, dass ich an diesem Tag keinerlei Verpflichtungen haben werde. Für diese Nacht ging ich auf einen Hügel, den ich zuvor immer von meinem Schlafzimmerfenster aus erblickte. Ich suchte einen Schlafplatz und fand bald einen geeignete Stelle. Meine Fähigkeit eine guten Schlafplatz zu finden hatte ich einige Monate zuvor auf dem Jakobsweg entdeckt. Eine Gabe, die ich nicht missen will. Zelt war aufgebaut und Abendessen beinahe gekocht, so schlich sich langsam die Dämmerung ein. Es war ungewohnt, so ganz ohne gesellschaftlichen Ablenkungen zu sein und die Zeit verstrich langsam. Doch ich hielt es ganz gut aus. Nach dem sich der Himmel von der Blauen Stunde langsam in die dunkle Nacht färbte, setzte ich mich dem Vollmond zugewandt auf einen grossen Ast. Ich schloss die Augen und vertiefte mich im Sein. Ich liebe es mich in den tiefen meiner Selbst zu verlieren, um mich danach noch klarer wiederzufinden. Als ich da so sass, erinnerte ich mich an meinen tiefsten Wunsch. Ich möchte die Erde zu einem wunderschönen Ort machen für alle Lebensformen dieser Welt und meine Energie dafür einsetzen. Doch welche Weggabelung müsste ich nehmen, um diesen Wunsch am wirkungsvollsten zu erfüllen? In die Antwort auf diese Frage wollte ich mich vor diesem riesiegen Vollmond also vertiefen. Obwohl ich die Frage noch nicht mal richtig in Worte gefasst hatte, sondern mich erst nur in das Gefühl hineinbegab, da sah ich mich auch schon. In der Wüste. Mit dem Fahrrad! Eine Energie durchströmte mich. Euphorie und Lebenslust. Ich konnte es kaum glauben. So Vieles ergab auf einaml Sinn – und würden in Zukunft immer mehr Sinn ergeben. Um mich nicht zu weit in Seitenwegen zu verlieren hier nur eine kurze Geschichte zum Sinn, der sich mir erschloss. Genau einen Monat zuvor rutschte ich unvorhersehbar in eine Arbeitsstelle, die ich mir so nie ausgesucht hätte. Dazu musste man sportlich sein und Sportlerin war ich jetzt nun wirklich nie. Ich landete über lustige Wege in einer der Kurierdienste in Basel und fuhr seit einigen Wochen für meinen Lebensunterhalt mit dem Fahrrad in der Stadt umher. Ich erinnerte mich, wie ich Freunden auf die Frage nach dem «Wieso denn dieser Job?» immer mit einer entspannten Gelassenheit antwortete: «Ich weiss nicht genau, es fühlt sich einfach richtig an.» Ich würde es dann schon noch herausfinden. In jener Nacht bei Vollmond war es dann soweit. Der Job stellte sich als Training für die kommende Reise heraus.


Die folgenden Tage verkündete ich die frohe Botschaft, dass ich noch nie in meinem Leben so sicher mit etwas gewesen sei, wie mit dem Vorhaben, nun in die Wüste zu fahren. Ich war ausser mir und voller Zuversicht und Klarheit. Ganz schön lange surfte ich auf dieser Welle, so als würde sie nie brechen. Doch Zweifel und Ängste machten sich schneller breit, als mir lieb war. Die Auseinandersetzung mit der Realisation dieses Projektes flösste mir Angst ein. Ganz alleine. In der Wüste. Wie soll das gehen? Nach dem anfänlgichen Hoch und dem darauffolgenden Tief pendelte sich mit der Zeit ein wohliges und entspanntes Gefühl ein. Ich erkannte: Egal, ob das Bild an jener Nacht nun symbolisch zu deuten ist oder tatsächlich dazu dient, die Erde zu einem besseren Ort mitzugestalten: Die Vorstellung, diese Reise nicht zu machen, fühlte sich bei Weitem viel beänstigender an, als sie tatsächlich zu wagen. Es mag sein, dass mich auf dem Weg Hürden überraschen werden, die mir Angst einflössen und mich an oder über meine Grenzen bringen, von denen ich jetzt noch nichts weiss. Und sicher wird es Situationen geben, in denen ich mich unbehaglich fühlen werden. Doch ist auch gewiss, dass das Nicht-Antreten dieser Reise eine Leere in mein Leben lässt und dieses Gefühl ist beweitem unerträglicher für mich, als mich meinen Ängsten zu stellen.


Ich hatte erfreulicherweise diesen Job bei der Kurierzentrale, doch würde ich damit nie und nimmer das verdienen, was es bräuchte, um noch im selben Jahr loszulegen. So fand ich beinahe über Nacht eine weitere Arbeitsstelle, die genau befristet zum Herbst andauern würde und die für diese Branche aussergewöhnlich grosszügig entlöhnt wurde. Für mich war diese Erfahrung extrem wertvoll. Noch nie in meinem Leben hatte ich so intensiv und viel gearbeitet, um mir einen Traum zu erfüllen. Ich habe durch diese Arbeit so viel gelernt und mich entwickelt, dass ich jene Monate, in denen ich für die Erfüllung meiner Reise unterwegs war, als eine der Wertvollsten überhaupt bezeichnen würde. Es gab immer das grosse Ziel in der Ferne. Doch lehrte mich diese Zeit auch, dass sich das Abenteuer im Hier und Jetzt abspielt. Ich habe die hektische und intensive Zeit genutzt, um Achtsamkeit und Gegenwärtigkeit zu trainieren. Ich wollte nicht einfach meine Zeit absitzen, damit meine Reise, mein Abenteuer erst in der Zukunft wahr werden wird, sondern ich wollte die Zeit so leben, als wäre ich bereits auf dem Weg, den ich mir vorstelle. Denn vor jedem wichtigen Weg, liegt ein Weg, der uns zu dieser Kreuzung führt. Und diese Wege bergen grosse Schätze in sich. Vielleicht muss man genauer hinsehen, doch keine Zeit, ist versäumte Zeit. Sie ist die Chance sich zu erfahren. Wenn wir sie nur lassen.



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